Das gerade einmal zwei Minuten und einundvierzig Sekunden lange Video Webcam Venus (2013) beginnt relativ nichtssagend: mit einem kreisenden Buffering-Symbol. Das erste Bild zeigt einen jungen Mann im Kapuzenpullover, der etwas nachdenklich an der Kamera vorbeischaut. Im zweiten Bild ist eine junge Frau mit neutralem Gesichtsausdruck zu sehen. In einem schwarzen Negligé liegt sie bäuchlings auf dem Sofa, in ihrer Brille spiegelt sich der Monitor eines Laptops. Das dritte Bild zeigt ein älteres Pärchen, das ruhig nebeneinandersitzt, die Frau hat ihren Kopf auf der Schulter des Mannes abgelegt, in dessen Brillengläsern ebenfalls zwei helle Bildschirm-Rechtecke flimmern. Alle drei Aufnahmen scheinen von Webcams gefilmt. Pablo Garcia / Addie Wagenknecht: Webcam Venus (2013) [NSFW] weiterlesen
‚Haltung‘ & Realismus
Thomas Bernhard: ‚Die Kälte‘ (1981)
Keine zweieinhalb Jahre ist es her, dass ich mir infolge der Diagnose Asthma bronchiale für einen kurzen, schreckhaften Moment die Möglichkeit einbildete, in der Tradition von Proust und Kafka lungenkranker Schriftsteller zu werden. Was mir damals weniger als ein nun naheliegender Beruf, denn als eine physische Anrufung erschien, hat sich in der Zwischenzeit in keinerlei literarischer Anstrengung manifestiert. Offensichtlich ist meine Krankheit nicht stark genug, um so etwas wie ‚Talent’ hervorzubringen und auch der Gedanke an das Schicksal eines frühen Todes mag mich davon abgehalten haben, diesen Weg konsequent zu verfolgen. Als ich gestern am frühen Abend – angeregt von einer Rezension, die Rainald Goetz 1981 in DER SPIEGEL veröffentlicht hat – Die Kälte. Eine Isolation (1981) von Thomas Bernhard aufschlug, schien ich von meiner hypochondrischen Eintagsambition längst geheilt und war mir keiner Gefahr eines Rückfalls bewusst. Thomas Bernhard: ‚Die Kälte‘ (1981) weiterlesen
Heitere Momente des Als-Ob
The Knife in der Columbiahalle, Berlin (11. Mai 2013)
Als The Knife 2006 ihr erstes Konzert spielten, hatten sie mit Silent Shout bereits ihr drittes Studioalbum veröffentlicht. Ihre bis dahin ungelöste Frage, wie sich elektronisch produzierte Musik jenseits eines bloßen Playbacks in einer Bühnensituation präsentieren ließe, beantwortete das schwedische Geschwisterpaar mit einer hochgradig theatralen Inszenierung, die das musikalische Liveelement auf den Gesang und einzelne Drumspuren reduzierte. Sowohl am vorderen Bühnenrand als auch am Bühnenhorizont waren Leinwände installiert, die mit aufwändig produzierten, die Musik illustrierenden Visuals projiziert wurden. Hinter dem in schwarzen Overalls gekleideten und mit Latex maskierten Duo befand sich eine Staffel neonbunter Scheinwerfer, die, vom Rhythmus der Musik getriggert, deren bereits visuell überschriebene Körper gänzlich in ein springendes Schattenspiel auflösten. Heitere Momente des Als-Ob weiterlesen